
(Quelle: aero-kurier.de)
Als hätte jemand einen riesigen Meeressäuger an einem Zaunpfahl festgezurrt – so wartet der weiß-blaue Zeppelin NT am Anlegemast vor der Luftschiffhalle in Friedrichshafen geduldig auf seine Kundschaft. Wer sich vor dem Flug in der Lounge der Reederei eingefunden hat, kann die Szene von der Bar aus mit einem Espresso in der Hand beobachten. Schon bei diesem Vorspiel bricht sich ein Gefühl Bahn, das charakteristisch ist fürs Zeppelinfliegen: eine Mischung aus Entspannung, Euphorie und Genuss. Besonders der Genussfaktor sticht dabei hervor, und das ist kein Zufall. Denn diese Art des Fliegens überfordert die menschlichen Sinnesorgane nicht, sondern bietet ihnen genügend Raum und Zeit.
Wir Menschen brauchen Zeit und Nähe, um ein Erlebnis genießen zu können. Beides ist beim Zeppelin konstruktionsbedingt und wegen seiner besonderen Nische im Luftraum üppig vorhanden: 65 Stundenkilometer Reisegeschwindigkeit und 300 Meter Flughöhe. Dazu ein nahezu vibrations- und geräuschloser Flug mit riesigen Panoramafenstern, die einen 360-Grad-Rundblick ermöglichen. Außerdem kann man während des Fluges von seinem Sitzplatz aufstehen und sich durch die Gondel bewegen. Entspannter geht es kaum.
Einsteigen und losschweben
Bevor der erste Passagier das Luftschiff betritt, ist es bereits in der Luft: Beim Einsteigen schwebt die Gondel über dem Boden. Wenn alle Fluggäste auf ihren Plätzen sind, drehen sich die beiden seitlich montierten Triebwerke nach oben in einen leichten Anstellwinkel, und es geht aufwärts. Im sanften Steigflug erreicht das Luftschiff in wenigen Augenblicken seine Reiseflughöhe.
Unter der Gondel erscheint der Bodensee mit der geschwungenen Uferlinie. Die kräftigen Farben des Frühsommers geben der Landschaft jenseits des Ufers eine fröhliche Leichtigkeit. Wie in einem Wimmelbild sind einzelne Menschen und Szenen zu erkennen. Dann dreht der Zeppelin über das tiefblaue Wasser hinaus auf den See. Segelboote tummeln sich in Buchten und kleinen Yachthäfen. Auf dem Weg Richtung Osten erscheinen malerische Orte wie an einer Perlenkette: Eriskirch, Langen-argen, Nonnenhorn, Wasserburg, dann die Halbinsel Lindau. Unter der Gondel scheint die Landschaft wie ein riesiges Wandgemälde zum Greifen nah: Schlösser, Kirchen, Wald und Wasser. Wie bei einer Wallfahrt schweben wir andächtig über den Dingen und sind zugleich mittendrin.
Wunderwerk der Technik
Luftschiffe sind trotz ihrer über 120-jährigen Geschichte wahre Wunderwerke der Technik. Der moderne Zeppelin NT hatte erst vor gut 25 Jahren, im Jahr 1997, seinen Jungfernflug. Neben seinen Urahnen würde er mit nur 75 Metern Rumpflänge wie ein Zwerg aussehen. LZ 130, das 1938 in Dienst gestellt wurde, brachte es auf stattliche 245 Meter.
Heute geht der moderne Urenkel der großen Zeppeline mit rund 400 Kilogramm Startgewicht in die Luft. Ohne Helium bringt er zwar gut acht Tonnen auf die Waage. Das Edelgas, mit dem die Hülle gefüllt wird, erzeugt jedoch ausreichend aerostatischen Auftrieb für das schwere Fluggerät. Der Auftrieb ist beim Start etwas geringer als das Abflug-gewicht. Die Lücke wird durch den Einsatz der drei Lycoming-IO-360-Triebwerke mit je 200 PS kompensiert. Das Luftschiff nutzt also sowohl das “Leichter-als-Luft”-Prinzip als auch die “Schwerer-als-Luft”-Technik, die man von Flugzeugen kennt. Daher muss die Zeppelincrew beim Start keinen Ballast abwerfen und bei der Landung kein wertvolles Helium aus der Hülle ablassen.
Mehr fliegen als fahren
Für den Reiseflug reicht schon die Leistung des Heckantriebs. Wie Flugzeuge wird auch das Luftschiff dabei hauptsächlich durch Seiten- und Höhenruder gesteuert. Die Ruderwirkung lässt jedoch mit abnehmender Geschwindigkeit nach. Ein Zeppelin ist aber selbst bei geringer Fahrt noch gut steuerbar. Erst bei unter 40 Kilometer pro Stunde lässt die Wirkung der U-Boot-artigen Flossen spürbar nach. Doch auch dann ist das Fluggerät dank seiner schwenkbaren Propeller am Heck und den beiden vorderen Triebwerken noch ausgesprochen wendig, kann auf der Stelle drehen oder sich sogar im Rückwärtsflug bewegen.
Am Ostende des Sees schlängelt sich eine hellbraune Wasserzunge ins Blau: Der Rhein bringt aus den nahen Bergen Geröll und Sedimente mit und bietet dort, wo er mit dem See eins wird, ein ungewöhnliches Farbenspiel. Am Südufer ist derweil ein gewaltiges Panorama zu sehen: der Alpenhauptkamm. So mächtig und wild die Berge auf den ersten Blick wirken, so verletzlich und schutzbedürftig ist diese Landschaft doch. Der Klimawandel schlägt hier besonders hart zu. Auch die Zeppelin-Reederei kann sich diesem Thema nicht entziehen. Und doch steht der moderne NT deutlich besser da als viele andere Luftfahrzeuge. Zwar ist die Reisegeschwindigkeit im Vergleich zu kommerziellen Flugzeugen oder Hubschraubern gering. Doch für den touristischen Einsatz zählt die reine Betriebszeit ohnehin mehr als die zurückgelegten Kilometer. Durchschnittlich verbraucht ein NT nur rund 70 Liter Kraftstoff pro Flugstunde – mit zwei Piloten und bis zu 15 Passagieren an Bord. Noch mehr Nachhaltigkeit ist aber auch hier möglich. Der Vorteil beim Zeppelin: Der Einsatz emissionsfreier Antriebe könnte durch die “Leichter-als-Luft”-Technik einfacher zu realisieren sein als bei Flächenflugzeugen. Für einen sanften Tourismus wäre damit ein weiterer Sympathiebonus gewonnen.
Am Horizont im Westen tauchen jetzt die Konturen der größten Stadt am See auf: Konstanz. Dort, wo das Wasser über Untiefen in karibischem Türkis leuchtet, bahnt sich der Rhein seinen Weg durch die Stadt und weiter westwärts zum Untersee. Die Alte Rheinbrücke überspannt den Fluss hier wie ein großes Stadttor – eine markante Landmarke für die Navigation aus der Luft.
Mit CPL ins Cockpit
Wer vor dieser Kulisse einen Zeppelin um den See steuern will, braucht aber mehr als gute Navigationskenntnisse – vor allem Fleiß und einen langen Atem. Prallluftschiffführer sind trotz der kleinen Renaissance, die der Zeppelin seit Ende der 90er Jahre erlebt, eine seltene Spezies. Piloten werden in Deutschland ausschließlich von der Zeppelin-Reederei ausgebildet. Voraussetzung ist eine CPL für Flächenflugzeuge oder Hubschrauber.
Um tatsächlich einen der begehrten Plätze im Zeppelincockpit zu bekommen, muss der Anwärter außerdem mindestens 450 Flug-stunden im Luftschiff nachweisen. Anschließend stehen weitere 150 Stunden als Co-Pilot, zusammen mit einem erfahrenen Kapitän, auf dem Programm. Dann erst darf der Luftschiffführer als PIC mit Fluggästen abheben.
Am Nordufer ziehen jetzt Überlingen, die Abtei Birnau, Meersburg und Schloss Helmsdorf an uns vorbei. Weinberge und lange Promenaden säumen das Seeufer. In einem sanften Bogen dreht der Zeppelin bei Friedrichshafen nach Norden zu seinem Heimatplatz. Das anspruchsvolle Manöver des Anmastens muss der Pilot beim Landeanflug wie im Schlaf beherrschen. Mit Hilfe der Triebwerke bringt er das Luftschiff in die richtige Position zum Mastfahrzeug. Das Anmasten selbst passiert dann mittels der Bugleine, die mit der Ankermastleine verbunden wird. Das Mastfahrzeug zieht den Zeppelin dabei an den Mast heran, sodass die Passagiere anschließend sicher aussteigen können.
Bei starkem Wind, Böen und Gewitter zeigt der Zeppelin seine Achillesverse: Langsamkeit. Scheint aber die Sonne, dann wird aus der Schwäche ein Lebensgefühl: Entschleunigung, die Superkraft der Zeppeline.