(Quelle: flugundzeit) (c) Dreamachine

Nein, das ist kein Schreibfehler, das Ding heißt tatsächlich Dreamachine mit nur einem m. Die Traummaschine steht in den Hackney Studios in London und erzeugt mit pulsierendem weißem Licht bei geschlossenen Augen Farben, geometrische Muster und noch viel mehr. Klingt zunächst nicht besonders aufregend, ist es aber. 

Wie kommt man auf so eine Idee?

Das menschliche Gehirn ist ziemlich komplex. Was genau das Bewusstsein ausmacht, versteht heute noch kein Mensch. Bereits in den 1950er Jahren jedoch fand der britische Neurowissenschaftler Dr. Grey Walter heraus, dass das bewusste Erleben von Menschen durch flackerndes Licht auf geschlossenen Augen dramatisch verändert werden kann – und dass dieser Effekt nicht nur die Bereiche des Gehirns betrifft, die mit dem Sehen zu tun haben, sondern große Teile unserer grauen Substanz.

Inspiriert durch diese Entdeckung baute der Beatnik-Künstler, Dichter und Erfinder Brion Gysin 1959 eine Dreamachine. Es handelte sich um ein zylindrisches Gerät, das sich auf einem Plattenspieler drehte und in dessen Innerem eine Glühbirne schwebte. Es sollte das „erste Kunstwerk sein, das man mit geschlossenen Augen erlebt“. Gysin hatte die Vision, dass seine Erfindung den Fernseher in jedem amerikanischen Haushalt ersetzen sollte. Statt passiver Konsumenten von Massenmedien sollten die Betrachter seiner Dreamachine ihre eigenen Filmerlebnisse schaffen. Er starb, bevor er seine Vision verwirklichen konnte, aber seine Idee, die Technologie zu nutzen, um uns mit unserem inneren Selbst zu verbinden, ist heute genauso radikal und relevant.

Die lebendigen visuelle Erfahrungen durch pulsierendes Licht bei geschlossenen Augen bezeichnet man als stroboskopisch induzierte visuelle Halluzinationen. Noch immer ist nicht klar, warum diese Bilder entstehen. Die Frequenz des Lichts zwingt dem Gehirn einen Rhythmus auf, der dem Alpha-Rhythmus ähnelt – den langsamen Gehirnwellen, die normalerweise auftreten, wenn wir wach, aber entspannt sind.

Hinter geschlossenen Augen entfaltet sich die farbenfrohe Welt der Dreamachine, erschaffen vom eigenen Gehirn des Besuchers und einzigartig für jede(n). Manche Menschen sehen Muster und Formen, andere erleben abstrakte Wellen von sich verändernden Farben – manche sehen sogar Menschen, Städte und Landschaften. Total abgefahren.

Die Dreamachine in Aktion

Man wird von einem sogenannten Guide, in meinem Fall einem weiblichen Führer, im Empfangsbereich abgeholt und erhält dann in der Gruppe, es gibt genau 12 Plätze die gleichzeitig verfügbar sind, eine Einweisung. Handys und Taschen müssen draussen bleiben. Dann geht es in einen runden Raum, mit einem Stoffdach wie in einem Jurtenzelt. Innen drin ist rundum ein gemütliches Liegesofa. Jeder Liegeplatz hat Lautsprecher (und Kopfhörer, die zurzeit in den Abendsessions verwendet werden). Man erhält eine Schlafmaske, die prophylaktisch am Kopf platziert wird, falls jemandem die Lichtpulse zu intensiv werden sollten. Es werden auch Handzeichen ausgemacht, falls jemand den Raum vorzeitig verlassen möchte. 

Kam nicht vor. Wir waren alle viel zu gespannt, auf alles, was da kommen sollte. Und wir wurden nicht enttäuscht. Ein (steady) ruhiges Licht wechselte sich ab mit heftig pulsierenden Lichtstössen und kurze Pausen von Dunkelheit. Man soll die ganze Zeit über die Augen geschlossen halten, darf aber nachsehen, wenn man partout nicht glauben will, dass die heftigen farbenfrohen Bilder und Filme innerhalb der geschlossenen Augen nur durch warmes, weißen Licht außerhalb erzeugt werden. 

Ich sehe rasend schnell wechselnde Bilder von unterschiedlichen Strukturen, feingliedrigen geometrische Linien, die sich so rapide verändern, dass man das Gefühl hat, sie seien mehrdimensionale Strukturen. In jedem Fall viel feiner, graziler, als diejenigen auf die Zeichnungen früherer Teilnehmer, die ihre Eindrücke nach der Präsentation auf schwarzen Tafeln mit Wachskreidestiften festhielten. 

Zeichnungen früherer Teilnehmer im Eingangsbereich, (c) Flugundzeit

Wie abgefahren es ist, eine beige-gelbe Mauer aus „mehrdimensionalen“ Ziegeln zu sehen, deren Gestalt sich kontinuierlich wandelt, lässt sich nicht mit Worten beschreiben. Ich habe weder eine Out of Body-Erfahrung – wie sie einige Teilnehmer beschreiben, noch sehe ich Menschen oder andere konkrete Gestalten. Dafür kurzzeitig ein Wurmloch, das sich nach links hinten kringelt, dessen Wände und Gestalt sich klarerweise auch kontinuierlich ändern und ebenso kurz habe ich das Gefühl zu schweben oder zu fliegen. Das aber ist für einen Fallschirmspringer kein ungewöhnlicher Zustand. Vielleicht abgesehen davon, dass ich hier auf einem blauen Sofa flätze und mich nicht im freien Fall befinde…

Die Erfahrungen mit dem pulsierenden Licht sind für jeden anders. Komplett anders. Obwohl alle in der Runde mit der gleichen Alphawellen-Musik von Jon Hopkins bespielt werden und die gleichen Lichtblitze sehen. Und: Etliche der Teilnehmer sind nicht zum ersten Mal hier sondern bereits mehrmals. Auch ihre Erfahrungen und was sie sahen und erlebten war nach ihren Erzählungen jedesmal neu. 

Mehr als 20000 Menschen haben die Dreamachine bereits erlebt. Jennifer Crook, Director of Collective Act, hätte ihre „Erfindung“ gerne an jeder Strassenecke präsent. So wie man früher in die Kirche ging, sollten die Dreamachines für jeden und jederzeit verfügbar sein. Zur Erweiterung des Bewusstseins, zum Enhancement des Gehirns.

Letzteres kann ich bestätigen. Einerseits kehrt auch Tage danach noch tiefe Ruhe ein, andererseits sprühe ich vor Energie. Das hatte Jennifer beim Pressetermin wenige Tage zuvor in Exeter erzählt: „Es entsteht eine Ruhe, manche haben danach ihre Beziehung intensiviert, andere haben ihren Partner verlassen. Manche haben ein Projekt verwirklicht, das jahrelang in der Schublade schlummerte. Die Dreamachine wirkt bei jedem anders.“

Die Ruhe würde ich eher so bezeichnen, dass man die Zeiteinteilung im Leben nun nach dem eigenen Rhythmus führt und nicht nach den Anforderungen und Erwartungen anderer. Und dies ohne Schuldgefühle, sondern mit einer Selbstverständlichkeit. Und, dass sich das komplett richtig anfühlt und trotzdem das Einfühlungsvermögen in andere auf enorme Weise gesteigert ist und man anderen besser helfen kann und es auch tut. 

Crook beschreibt dies so: „Bei manchen Menschen gehen die Erfahrungen durch die Dreamachine über die Sinne hinaus. Sie empfinden vielleicht Gefühle wie Angst oder Freude. Andere haben vielleicht ein Gefühl der Ermächtigung, Euphorie, Entspannung oder Verbundenheit. Ein Gefühl von großer Schönheit oder unbeschreiblicher Komplexität kann die Erfahrung tiefgreifend oder sogar transformativ machen.“

Vieles was sie sagt, verstehe ich erst, nachdem ich es selbst ausprobiert habe. Es ist vielleicht wie nach einem Fallschirmsprung, bei dem man nur 20 Minuten von den am Boden-Gebliebenen weg war, aber doch eine ganze Welt inzwischen erlebt hat, von der die Zuschauer nichts ahnen. Oder die Astronauten, die wieder und wieder von ihrer Eindrücken erzählen, wenn sie die Erde von außen betrachten. Klingt für uns Daheimgeblieben selbstverständlich und fast abgedroschen – wie klein und schön der blaue Planet doch sei. Auch diese Erfahrung kann man vermutlich nicht annähernd in Worte fassen.

Die Dreamachine verursacht eine Erweiterung des Bewusstseins, ganz ohne Drogen, nur mit Licht und Trance-Musik. Sie bewirkt eine Art Fine-tuning des Gehirns, das sich danach wie neu verdrahtet aufführt. Eine durchaus abgespacede Erfahrung, ein unvergleichliches Erlebnis und etwas, das verändert. Zum Positiven, würde ich sagen.

‘The rich kaleidoscopic world of the Dreamachine comes from within, providing a magical insight into the extraordinary potential of our own minds. 

J. Crook

Warum sieht jede(r) das, was er/sie sieht?

Das Team hinter der Dreamachine besteht aus Wissenschaftlern der Universitäten Glasgow und Sussex, Technikern, Philosophen und dem Grammy-nominierten Komponisten Jon Hopkins. Das Forschungsteam möchte ein Porträt des menschlichen Bewusstseins erstellen und untersuchen, warum bestimmte Menschen bestimmte Erfahrungen in der Dreamachine machen und wie dies mit anderen Aspekten ihrer Wahrnehmung zusammenhängen könnte. Die Ergebnisse sollen eine wissenschaftliche und philosophische Forschungsarbeit ergeben für die Bereiche: Neurowissenschaften, Philosophie, Anthropologie und Psychologie.

As a programme, Dreamachine aims to explore the potential of the human mind and the unique ways we each experience the world. The Dreamachine immersive experience unfolds behind your closed eyes, created by the power of your own brain and completely personal to you. After the experience, you are invited to reflect, share and visualise what you saw, how you felt and what it meant to you. The incredible stories from our audiences this year can be found in our online library of reflections.

Die Dreamachine zielt darauf ab, das Potenzial des menschlichen Geistes und die einzigartige Art und Weise, wie jeder von uns die Welt erlebt, zu erforschen. Die Dreamachine ist eine immersive Erfahrung, die sich hinter Ihren geschlossenen Augen entfaltet, durch die Kraft Ihres eigenen Gehirns erzeugt wird und ganz auf Sie zugeschnitten ist. Nach dem Erlebnis sind Sie eingeladen, zu reflektieren, zu teilen und zu visualisieren, was Sie gesehen haben, wie Sie sich gefühlt haben und was es für Sie bedeutet hat. Die unglaublichen Geschichten unseres diesjährigen Publikums finden Sie in unserer Online-Bibliothek der Reflexionen.

Tja, weil aber auch die vielen Daten für die Wissenschaftler noch nicht zum letztlichen Erkenntnisgewinn des Warum und Wieso geführt haben, gibt es eine parallele Untersuchung im Internet, an der jede(r) teilnehmen kann, egal wo er sich physisch befindet – den sogenannten Perception Census. Und den sehen wir uns im nächsten Betrag genauer an. (Folgt)

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