
(Quelle: aero.de)
MOSKAU – Russland will bis 2030 mehr als 1.000 neue Airliner bauen. Feste Verträge für dieses Mammutprojekt fehlten bisher aber – sehr zum Ärger von Präsident Putin. Jetzt ist die erste Charge unter Dach und Fach: 71 neue Jets sollen bis 2025 kommen. 63 davon gehen an Aeroflot.
Es war ein öffentlicher Rüffel, den sich Russlands Industrie- und Handelsminister Denis Manturow am 11. Januar von seinem Chef abholen musste: “Was spielst Du hier den Narren?”, herrschte Staatspräsident Putin seinen Minister vor laufender Kamera an.
Bei der im Fernsehen übertragenen Videokonferenz ging es, neben anderen Themen, um die Pläne der Regierung, den Bau einheimischer Flugzeuge massiv hochzufahren. Und Putin war mit der Performance Manturows diesbezüglich sichtbar unzufrieden, denn er sah ein Problem: “Die Verträge fehlen noch, sagen mir die Direktoren der Flugzeugwerke!”
Der kleinlaute Minister versprach, die unterschriebenen Kontrakte im ersten Quartal zu liefern. Doch Putin befahl: “Das ist zu spät. Höchstens vier Wochen!”
Verträge für MS-21, Tu-214 und Superjet
Tatsächlich sind seit diesem denkwürdigen Meeting jetzt fünf Wochen vergangen – aber Manturows Ministerium war offenbar erfolgreich. Am Donnerstag meldete der Staatskonzern Rostec, seine Tochterfirmen UAC und Russian Helicopters hätten “Verträge für die Produktion von Zivilflugzeugen und Hubschraubern unterzeichnet, die über Leasinggesellschaften an die Betreiber geliefert werden.”
Die Vereinbarung sieht demnach den Bau von 71 neuen Passagierjets und 107 Helikoptern bis Ende 2025 vor. 63 der neu gebauten Jets sollen an Aeroflot gehen, die acht restlichen an die fernöstliche Regionalfluglinie Aurora.
Bei letzteren handelt es sich durchweg um Suchoi Superjets der “russifizierten” Version SSJ-NEW. Aurora erhält außerdem 21 neue Mil Mi-171-Hubschrauber – zehn Mi-171A2 und elf Exemplare der modernsten Baureihe Mi-171A3.
Kann Rostec liefern?
Die 63 für Aeroflot bestimmten Jetliner teilen sich derweil auf insgesamt drei Muster auf. So soll der russische Flag Carrier zwischen 2023 und 2025 34 Superjet-NEW erhalten, sowie 18 Irkut MS-21 und elf Tupolew Tu-214. Spannend wird nun sein, ob die Luftfahrtindustrie im größten Land der Erde auch fristgerecht liefern kann.
Denn Verträge sind schön und gut, aus dem Ärmel schütteln lassen sich die bestellten Jets allerdings nicht. Bei der Tu-214 dürfte die Herausforderung noch am geringsten sein: dieser – noch aus Sowjetzeiten stammende – Flugzeugtyp ist technisch weitgehend fertig entwickelt und wird seit Jahren hergestellt – wenn auch bislang in Kleinserie.
Lediglich ein moderneres Flight Deck sollten die Aeroflot-Tupolews erhalten, denn Airline-Chef Alexandrowski sagte vor wenigen Wochen, das bisherige Drei-Mann-Cockpit sei für Aeroflot nicht zumutbar. Da es mit der Tu-204SM bereits eine Version der Tu-204/214-Familie mit Zweimann-Cockpit gab, scheint ein solches Update zumindest theoretisch gut machbar.
Riesige Herausforderung
Etwas anders sieht es beim Suchoi Superjet und der Irkut MS-21 aus, deren Grundkonzeption zu großen Teilen auf Komponenten westlicher Zulieferer fußt. Hier muss Russland wegen der geltenden Sanktionen schnell heimischen Ersatz finden. Und auch, wenn diese “Importsubstitution” in vielen Bereichen schon vor Jahren anlief, ist das alles andere als trivial.
Schließlich zählen zu den betreffenden Komponenten auch so komplexe Dinge wie die aktiven Sidesticks der MS-21, die eigentlich von Collins aus den USA kommen sollten. Auch Turbofans, Fahrwerke, Hilfsturbinen, Hydraulik, Avionik, Kraftstoffsystem oder Kabinenisolierung müssen durch russische Pendants ersetzt werden.
Zwar gibt es für viele dieser Punkte bereits passende Lösungen – allen voran bei den Triebwerken. Aber um diese Lösungen im großen Stil herzustellen, braucht es ein breites Netzwerk an Zulieferbetrieben mit entsprechender Kapazität. All das gab es in dieser Größenordnung in Russland seit den 90ern nicht mehr und muss in weiten Teilen erst neu etabliert werden.
Klar ist vor diesem Hintergrund vor allem eins: zurücklehnen wird sich Minister Denis Manturow auch in Zukunft nicht können, wenn er sich nicht wieder den Zorn seines Chefs zuziehen möchte. Dafür warten zu viele Herausforderungen auf Russlands Luftfahrtindustrie. Die von Putin eingeforderten, nun geschlossenen Verträge können nur der Anfang sein.
© FLUG REVUE – Patrick Zwerger Abb.: Aeroflot