Was hat Russland mit diesem neuen Vierstrahler vor?

(Quelle: aero.de)

Iljuschin Il-96-400M, © UAC

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MOSKAU – Mit dem Bau der Iljuschin Il-96-400M definiert Russland den Begriff der Langsamkeit neu. Im Januar 2020 startete die Endmontage des Vierstrahlers, seither ging es stets nur im Schneckentempo vorwärts. Jetzt ist die Maschine fertig – und könnte die Grundlage für einen CR929-Ersatz schaffen.

Es mag daran liegen, dass eigentlich niemand so recht weiß, was man mit dem Flugzeug anstellen soll – ob es nun in Serie geht, eine Militärkarriere startet oder als Testträger für einen künftigen Langstreckenjet herhalten muss. Aber die Geschwindigkeit, mit der sich der Zusammenbau der Iljuschin Il-96-400M im WASO-Flugzeugwerk von Woronesch seit Ende 2019 vorangeschlichen hat, ist selbst für russische Verhältnisse rekordverdächtig langsam.

Selbst den wenig ehrgeizigen Erstflugtermin, der für Ende 2022 angesetzt war, hat der neue Großraumjet gerissen. Zwar ist er mittlerweile weitgehend komplett, sogar frisch lackiert, und feierte im Juni sein Roll-out. Doch abgehoben ist die Il-96-400M noch immer nicht.

Besonders eilig scheint man es auch weiter nicht zu haben. Die Vorbereitungen für den Jungfernflug laufen, vermeldet die staatliche Flugzeugbau-Holding UAC seit dem Roll-out immer wieder. Bis jetzt allerdings mündeten diese Vorbereitungen nicht in ein zählbares Resultat.

Jüngst besuchte Russlands Industrie- und Handelsminister Denis Manturow die Fabrik in Woronesch. Dabei nahm er auch die große neue Iljuschin in Augenschein – von außen und von innen. Im Gespräch mit Iljuschin-Generaldirektor Daniil Brenerman ließ er sich vor Ort auf den neuesten Stand bringen. Bilder, die den Besuch dokumentieren, zeigen die Il-96-400M tatsächlich in mehr oder weniger betriebsbereitem Zustand, mit beleuchteten Bildschirmen im Cockpit.

Auch ein Kennzeichen trägt die Maschine: RA-96115. Einen konkreten Termin für den Jungfernflug nannten die Beteiligten allerdings wieder nicht.

Aus der Zeit gefallen

Die Il-96-400M ist eine laut Hersteller um 9,35 Meter gestreckte, verbesserte Version der Il-96-300. Sie basiert auf der, ebenfalls gestreckten, „alten“ Il-96-400(T), von der zwischen 1997 und 2011 insgesamt vier flugfähige Exemplare entstanden. Gegenüber den älteren Iljuschin-Großraumjets besitzt die Il-96-400M ein modernisiertes Flight Deck mit russischer Avionik, ausgelegt für zwei Piloten.

Außerdem erhielt das neue Flugzeug einen Satz optimierter PS-90A1-Triebwerke (manche Quellen sprechen von PS-90A3), die gegenüber den älteren Ausführungen dieses Turbofans mit mehr Leistung und weniger Verbrauch aufwarten sollen. Gleichwohl hängen unter den Tragflächen der Il-96-400M nach wie vor vier Motoren – was in der Ära leistungsstarker Twinjet-Widebodies ziemlich aus der Zeit gefallen scheint.

Wohl auch aus diesem Grund ist man sich in Russland selbst noch nicht so sicher, wo denn die Reise für die Il-96-400M tatsächlich hingehen soll. Bestellungen für den Vierstrahler gibt es nach wie vor keine. Der russische Plan zum Ausbau der einheimischen Airliner-Produktion sieht bis 2030 zwar zwei bis drei neue Il-96 jährlich vor.

Offiziell geht es dabei aber um die alte Standardvariante Il-96-300. Die russische Luftfahrt-Website aviation21.ru schreibt, diese zwölf Flugzeuge könnten durchaus durch Il-96-400M ersetzt werden. Vorerst stünde der Bau von sechs Vorserienmaschinen im Raum.

Ob die Il-96-400 jemals in einer Stückzahl gebaut wird, die auch nur annähernd den Status „Serienfertigung“ verdient, soll allerdings erst entschieden werden, wenn der Prototyp sich in der Flugerprobung bewährt hat. Das zumindest verlautbarte die Nachrichtenagentur Tass im Juli 2022 unter Berufung auf eine Insiderquelle.

Brücke in die Zukunft

Objektiv betrachtet scheint eine Serienproduktion der Il-96-400M indessen wenig zielführend. Wahrscheinlicher ist das Szenario, das russische Regierungsvertreter bereits im Sommer 2022 aufs Tapet brachten: nämlich, dass der Prototyp als „fliegendes Labor“ für neue russische Luftfahrttechnik herhalten soll.

Auf dieser Basis wäre mittelfristig auch der Umbau der vierstrahligen Il-96-400M zu einer zweistrahligen „Il-96neo“ denkbar, bestückt mit in Russland entwickelten PD-35-Turbofans von Awiadwigatel. Dieses Triebwerk war eigentlich für den chinesisch-russischen Langstreckenjet CR929 gedacht, doch ob aus diesem Projekt noch etwas wird, ist zweifelhaft.

Für eine zweimotorige Il-96 müsste UAC zwar den Flügel des Noch-Vierstrahlers überarbeiten – da das PD-35 aber wohl nicht vor 2030 zur Verfügung stehen wird, müsste man auch diesbezüglich nicht plötzlich in Eile verfallen.

© FLUG REVUE – Patrick Zwerger 06.08.2023 07:20

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