Luftfahrt-Legende Wolf Hirth: Leben und Werk

(Quelle: fliegermagazin)

Einen ersten Herzinfarkt hat der allseits verehrte Segelflug-Veteran schon überstanden; der zweite ereilt ihn offenbar im Flug. Seit 1956 darf Wolf Hirth nicht mehr mit Passagieren fliegen. So ist er auch am 25. Juli 1959 über dem Segelflugplatz Teck auf der Schwäbischen Alb solo unterwegs. Hirth lässt es sich nicht nehmen, jedes neue Schempp-Hirth-Exemplar aus Nabern selbst einzufliegen. Die Lo 150 ist eine Lo 100 mit gestrecktem Flügel. Damit startet der 59-Jährige zum letzten Mal.

Sein erster Flug liegt lange zurück: 1911. Hellmuth Hirth, 14 Jahre älter und einer der populärster Flieger in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, verpasst dem kleinen Bruder die Lufttaufe. Er packt den Elfjährigen (samt Ernst Heinkel) auf den vorderen Sitz einer Rumpler Taube. Hellmuth wird in den dreißiger Jahren im Flugmotorenbau reüssieren.

Segelflug-Veteran Wolf Hirth ist Hart im Nehmen

Vater Albert Hirth ist eine manische Erfindernatur; auch geschäftlich bringt er es weit. Seine Söhne erzieht er zu selbstbewussten Personen, die auch gern etwas wagen. 1920 knattert Wolf mit seinem Motorrad hinauf nach Gersfeld bei Fulda zum ersten Rhön-Wettbewerb.

Beim dritten Rhönwettbewerb 1922 meistert Hirth auf der Wasserkuppe die Hart-Messerschmitt S-10. Mit der eigenwilligen Knüppelsteuerung werden die Flügelhälften als ganze verdreht – eine Art Pendelquerruder. Noch ist der spätere Diplomingenieur an der Uni Stuttgart eingeschrieben.

Was er dort zu sehen bekommt, treibt ihn sofort zurück nach Stuttgart. Mit Hilfe von ein paar Freunden baut er den halbfertigen Gleiter des Stuttgarter Flugvereins zu Ende und trifft damit noch am letzten Wettbewerbstag für ein paar kurze Hopser auf der Wasserkuppe ein.

Bei einem Unfall quetscht sich Wolf Hirth den Kehlkopf

Richtig ernst wird es für ihn 1922, als er auf der Harth-Messerschmitt S-10 autodidaktisch Fliegen lernt – und mit der S-11 gleich seinen ersten ernsthaften Crash übersteht. Der gequetsche Kehlkopf, den er sich dabei holt, wird ihn zeitlebens belästigen.

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Wäre Wolf Hirth nie einen Meter geflogen – er hätte sich in die Geschichte des deutschen Motorradsports eingeschrieben. Noch als Student bestreitet er erfolgreich Rennen, auch nach einem schlimmen Unfall im Juli 1925. Bruder Hellmuth bleibt die Entscheidung überlassen, wie die Operateure mit dem Bewusslosen verfahren sollen. Wolfs linkes Bein wird oberhalb des Knies amputiert. Noch auf dem Krankenlager gründet er die Akademische Fliegergruppe Stuttgart. Der 25-Jährige ist hart ihm Nehmen, und so bringt er auch sein Studium eisern zu Ende. Seit 1928 ist er Diplom-Ingenieur.

Die Beinprothese hindert ihn weder am Motorradfahren noch daran, einer der erfolgreichsten deutschen Wettbewerbssegelflieger jener Jahre zu werden, auch international. Seine Leistungen im Motorflug rücken da bisweilen in den Hintergrund, gilt er doch als einer des ersten Vertreter des »Luftwanderns« mit dem Motorflugzeug. Schon 1928/’29 schwirrt Hirth gern mit seiner 20-PS-Klemm herum.

Zwischen 1929 und 1931 fliegt Hirth die L 25

Mehr Möglichkeiten bietet ihm die L 25 mit ihrem zuverlässigen Salmson-Sternmotor, die er zwischen 1929 und ’31 fliegt – etwa auf die Isle of Man. Mit dieser D-1753 will er 1930 in die USA, in Etappen freilich. Bis zu den Orkneys und Island klappt das ganz gut. Eine allzu teure Formalität (oder Schikane) zwingt ihn aufs Schiff, das ihn und die Klemm ins kanadische Montreal bringt. Von dort geht es weiter in südlicher Richtung. Hirths nordamerikanische Reise dauert acht Monate.

Im Motorrad-Mekka: 1929 fliegt Hirth mit einer Klemm L 25 auf die Isle of Man. Hier finden seit 1907 Motorradrennen auf öffentlichen Straßen statt.

Zu einem sensationellen Streich gerät ihm ein Segelflug am 10. März 1931 über Manhattan. Eine Kamera ist am Ufer des Hudson River dabei, als Hirths »Musterle« per Gummiseil in die Luft befördert wird. Für den Start hat er nur ein paar Meter. Dann muss sich der erfahrene Segelflieger im Aufwind der Uferböschung und über der City nach oben arbeiten, 300 Meter hoch, was die Augenzeugen in den Straßenschluchten in Staunen und Schrecken versetzt.

Hirth bekommt 1932 den renommierten Hindenburgpokal

Das Ganze ist durchaus offiziell und genehmigt. Doch einen lautlosen Hochleistungssegler wie das »Musterle« mit seinen schlanken Linien haben die New Yorker noch nie gesehen. Dem Piloten wird bald zu Verstehen gegeben, schleunigst zu landen. Er wäre gern länger oben geblieben, sagt Hirth freimütig, als er sich nach 40 Flugminuten aus dem engen Cockpit schält. Im Mai 1931 ist er wieder zuhause in Böblingen, voller großartiger Eindrücke – und eine Berühmtheit.

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Der renommierte Hindenburgpokal, der ihm 1932 für seine Verdienste um den Segelflug verliehen wird, ist nur angemessen. Schon 1929 hat er diese Auszeichnung im Motorflug erhalten, unter anderem für seinen Island-Flug. Hirth bleibt der Einzige, der auf diese Weise in beiden Luftfahrtsparten gewürdigt wird. Seine kollegiale Art und unbestreitbare Kompetenz machen ihn zum idealen Lehrmeister. Von 1931 bis ’33 leitet er die Segelflugschule im niederschlesischen Grunau (wo er die Leewelle erforscht, die Segelflugzeuge auf ungeahnte Höhen spült). Denselben Posten übernimmt er anschließend auf dem Hornberg bei Schwäbisch Gmünd.

Die Schempp-Hirth OHG zieht nach Kirchheim

1934 ist Hirth mit einer illustren Gruppe deutscher Segelflieger auf Mission in Südamerika: zur Erkundung, ob »Segelflug in den Tropen möglich sei« – welch reizender Vorwand für ein exotisches Abenteuer! Ähnliches geschieht ein Jahr später in Japan auf Initiative von Ernst Udet. Hirths kleines Team hat eine aufregende Zeit in Fernost.

Freunde und Geschäftsparter: Martin Schempp (links) und Wolf Hirth, hier unterhalb der Burg Teck. 1943 ist die hundertste Goevier (Gö-4) fertiggestellt.

Seinem Freund Martin Schempp hilft Hirth 1935 bei der Gründung des eigenen Sportflugzeugbaus in Göppingen. Drei Jahre später werden sie Partner, und die Schempp-Hirth OHG zieht nach Kirchheim um. Noch in Göppingen legt man Hirths Eigenkonstruktionen Gö-1 Wolf und den künftigen Bestseller Gö-3 Minimoa auf.

Wolf Hirth verhält sich in den Vorkriegs- und Kriegsjahren unaufällig

Der Musterbau Nabern auf dem Flugplatz Nabern/Teck ist 1939 eine Ausgliederung und ausdrücklich als Versuchsbau deklariert; daraus wird noch die Wolf Hirth GmbH. So kommt der erste Motorsegler mit Klapptriebwerk tatsächlich aus dieser Werkstatt in Nabern. Bei der nicht eigenstartfähigen Hirth Hi-20, die erstmals im Oktober 1941 fliegt, stammen Flächen und Leitwerk von der Gö-4. Aber im Krieg sind andere Produkte gefragt.

In den Vorkriegs- und Kriegsjahren verhält sich Wolf Hirth unauffällig. Der Ton in den Segelfluggruppen ist ab 1934 zackiger geworden, sehr zu Hirths Missfallen. Seine Firmen fertigen im Krieg Komponenten aus Holz – hauptsächlich für Messerschmitt, aber auch den Trainer DFS-Habicht. Ideologisch lässt sich der Schwabe nicht festnageln. Briefe unterzeichnet er »mit deutschem Fliegergruß«.

1951 steigt Schempp-Hirth wieder in den Segelflugzeugbau ein

Trotz seiner Behinderung wird er im Oktober 1940 zur Fliegerschule nach Königsberg einberufen. Ein kurioser Filmschnipsel zeigt den sichtlich verlegenen Wolf Hirth in schlecht sitzender Uniform. Politisch weitgehend unbelastet ist er im Jahr 1950 der ideale erste Präsident des frisch gegründeten DAeC, trotz allem.

Hirth in seiner Sechszylinder-Klemm Kl 35. Links fliegermagazin-Zeichner und -Autor Helmut Mauch, der in den 50ern bei Hirth beschäftigt war.

Hirth bringt seine GmbH sogar durch die mageren Nachkriegsjahre; das Sortiment reicht vom Kinderroller bis zum Verkaufswagen. Im September 1951 steigt Schempp-Hirth wieder in den Segelflugzeugbau ein und legt das Vorkriegsmodell Gö-4 erneut auf. Gesundheitlich angeschlagen, ist Wolf Hirth immer noch aktiv. Bis zu jenem 25. Juli 1959.

Die neue Lo 150, die er einfliegt, kracht auf ein Feld nahe Dettingen, im Anflug auf seinen alten Werksflugplatz bei Nabern. Bundespräsident Theodor Heuss hält tags darauf einen bewegenden Nachruf auf seinen Freund und württembergischen Landsmann. »Er war ein Kerl«, sagt Heuss.

Text: Stefan Bartmann Fotos: CHIV AKAFLIEG STUTTGART, BILDSAMMLUNG BARTMANN, ARCHIV HELLMUTH HIRTH (3)

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